2026 gibt es eine Kommunalwahl – wen interessiert das?
WEM GEHÖRT DIE STADT, WER BESTIMMT ÜBER SIE, WER PLANT SIE?
Thema Stadtplanung: Wie Osterholz auf den absteigenden Ast kam – Teil 1
Der Autoverkehr hatte es in den 1980er Jahren schon lange sehr schwer gehabt: die Hauptschlagader am Kaufhaus Reuter brauchte eine Bypass-Operation, es drohte ein Verkehrsinfarkt. Bahnübergänge sind immer gefährlich: Leute werden überfahren, welche werfen sich vor den Zug, usw. Stimmt ja auch, keine Frage. Das muss abgestellt werden. Im Hintergrund spielte aber ein ganz andere Melodie.
Alle 20 min. musste der Autoverkehr in der Bahnhofstraße ein paar Minuten lang stillstehen. Ein Unding: Abgase, Lärm, Zeit verplempert. Der Exportweltmeister mit Schwerpunkt AUTO kann sich das nicht leisten. Anhalten für den Zugverkehr? Nö! Wir wollen freie Fahrt für freie Bürger. Wir sind auch Wähler! Wir können die einen oder die anderen wählen, sogar wenn sie der komplett selben Meinung sind.
Darin bestand also Einigkeit: der Reuter-Bahnübergang muss so schnell wie möglich weg! Die politischen Chirurgen hatten in Scharmbeck bereits ihr Skalpell im Brotmesser-Format ausgepackt und operierten den Marktplatz zu einer künftigen Goldgrube um. Eine Operation zieht die andere nach sich: Der Verkehr muss ja irgendwo hin. Also wird auf der Osterholzer Seite eine neue Auto-Arterie eingesetzt: Die Querspange! Fußgänger, Radfahrer (und jetzt auch Elektroflitzer) werden in ein Nadelöhr untertage verlegt. Die Menschen müssen ja den DB-Bahnhof flott erreichen können. Geht doch! Eine Frage bleibt: Wie sicher fühlen sie sich in der Unterführung?
Der Reuter-Bahnübergang wird 1982 geschlossen. Von da an kommt der Autoverkehr ungestört voran und die freien Bürger sind nicht mehr so genervt. Jedenfalls nicht an dieser Stelle. Sie können sich jetzt woanders aufregen: in der Bremer Straße, am Tinzenberg oder in Ritterhude.
ALLE großen Eingriffe in gewachsene Strukturen haben unvorhergesehene Folgen. Die stellen sich später heraus. Einige Menschen verlieren dabei einiges, das ist sozusagen „völlig normal“, damit wird gerechnet. Was hier passierte hat aber eine ganz andere Größenordnung:
• Das Kaufhaus Reuter: breites Angebot mitten in der Zwillingsstadt, fachkundiges Personal, Treffpunkt mit vielen sozialen Funktionen wird 2007 geschlossen. In zahllosen Kleinstädten landauf, landab passierte dasselbe GENAU SO. Reuter, so hieß es, war einfach wirtschaftlich nicht mehr lebensfähig. Handelt es sich dabei um einen natürlichen Vorgang? Um eine Alterserscheinung? Etwas Unabwendbares? Natürlich sehen wir das nicht so. Stadtplanung richtet sich zuallererst nach dem Geld, das dabei zu verdienen ist. Wir könnten auch anders, zumindest theoretisch. Nur gemacht wird es nicht. Soziale Bedürfnisse sind zweitrangig. Wie ändern wir das?
(vgl. auch: https://www.teufelsmoor.eu/geschichte/kaufhaus-reuter/)
• Durch die Stadtsanierung wird die Bahnhofstraße zur „beidseitigen Sackgasse“ gemacht. Der gesamte südöstliche Teil wurde von der Hauptschlagader abgekappt. Osterholz wurde chirurgisch verödet. Der Stadtteil verlor viel dabei: sein Kaufhaus, sein Postamt, seinen Zahnarzt, den Chinesen, das Waldhaus, (weiteres Restaurant). Behalten hat es den Kopiershop (danke Mariko), die katholische Kirche, den Park. Das ist ja schon fast ein guter Neuanfang. Auch das Heimatmuseum und Bäcker Behrens bleiben (wahrscheinlich). Eine Bowlingbahn, eine Augenarztpraxis ein Kiosk und eine thailändische Einrichtung sind dazugekommen. Die Berufsschule wird geschlossen. Wie gewinnen die Einwohner dieser Stadt Einfluss darauf, wo ihre Reise hingeht? Wer bestimmt was in dieser speziellen Demokratie?
• Anfangs wuchsen die beiden Orte noch zusammen. Sie sind sich dabei auch nicht im Weg. Jedenfalls solange nicht, bis der „erlebbare Stadtmittelpunkt in Scharmbeck“ auf die Beine gestellt ist. Dann zeigen sich ganz neue und unewrwartete Folgen.
• Der eine Zwilling blüht auf, der andere leidet an Schwindsucht. Investoren haben an so etwas kein Interesse, weil es sich nicht lohnt. Sie werfen ihr Kapital dem Hopfen und Malz nicht hinterher.
Wir stellen die Frage neu: Was wollen die Menschen, die hier leben? Welche Vorstellungen haben sie? Welche Vorstellungen haben WIR selbst? Du und ich! Wie wollen wir leben? Wie stellen wir uns eine lebenswerte Stadt, eine lebenswerte Zukunft vor? Weitere Artikel folgen an dieser Stelle.